Text und Redaktion
Ob Magazin, Stiftungs- oder Geschäftsbericht, Buch oder Website: Eine gelungene Publikation überzeugt durch das optimale Zusammenspiel aus Text und Gestaltung. Anbei einige Beispiele für Interviews, Porträts oder Reportagen von Lichten.

Börsenblatt des Deutschen Buchhandels

»Leben in der Extremnormalität«

Ein Besuch bei der Hamburger Kinderbuchillustratorin Birte Müller, die in ihrem neuen Buch »Willis Planet« von großer Anstrengung und bedingungsloser Liebe erzählt. Und von ihrem eigenen Leben mit einem behinderten Kind.

»Ich habe eher aus Versehen meinen Traumberuf studiert.« Ein Satz, der überrascht, denn die 38-jährige Kinderbuchillustratorin Birte Müller und ihr Beruf scheinen für einander gemacht zu sein. Bereits der erste Blick in ihre Bücher zeigt: Lebendig und humorvoll wie die Gestalterin selbst sind ihre Bilder, ihre künstlerische Sprache ist klar, warmherzig, eindringlich. »Ich habe schon als Kind gern Geschichten erzählt, gemalt, gehäkelt«, erinnert sich die Hamburgerin. Ihre Freude am kreativen Prozess und die Fähigkeit, die Welt durch die Augen eines Kindes zu sehen, hat sie sich bewahrt.

Birte Müller sitzt am Frühstückstisch ihres Hamburger Reihenhauses, der Blick geht durch das Wohnzimmer weiter durch die geöffnete Terrassentür in den dahinter liegenden Garten. Vor ihr liegt neben der von ihr selbst gemachten Stachelbeermarmelade und den frischen Brötchen eine Auswahl von Kinderbüchern. »Über meine Arbeit möchte ich Kinder mit ihren Eltern ins Gespräch bringen über Themen, die im Leben wichtig sind«, sagt sie und nippt an ihrem Kaffee. »Aber ich mache auch Bücher, die einfach nur unterhalten.« Sie deutet lächelnd auf das Bilderbuch »Fritz Frosch pupst«.

Als Studentin der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg meldete Birte Müller sich aus einer Laune heraus für den Kurs Kinderbuchillustration an. »Ich hatte von dem Beruf noch nie etwas gehört, aber als ich da saß, wusste ich sofort: Das und nichts anderes will ich machen.« Müller studierte mit Leidenschaft, stellte ihre Arbeit auf den Buchmessen in Bologna und Frankfurt vor – bis der Neugebauer Verlag 2001 ihr Buch »Herr Meier und Herr Müller« herausbrachte. Die Illustratorin blättert darin und nickt. »Das gefällt mir immer noch.«

In den nächsten Wochen kommt nun »Planet Willi« in den Handel, eine feinfühlig erzählte, freudvolle und gleichwohl traurige Geschichte. Und es ist wohl Müllers persönlichstes Buch, denn es erzählt aus ihrem eigenen anspruchsvollen, fordernden, überfordernden Leben mit einem behinderten Kind. Müller nennt es »Leben in der Extremnormalität«. Die Intensität spiegelt sich in den Bildern des Buches wider, sie werden zweidimensionaler, Müller verzichtet auf jegliche Perspektiven, eine besondere Eindringlichkeit entsteht. Es erfordert Mut, so ein Buch zu machen.

Birte Müllers Sohn Willi kam 2007 mit der Diagnose Trisomie 21, dem »Down-Syndrom«, und einer Reihe schwerer Nebenerkrankungen auf die Welt. Die Prognose der Ärzte war düster: Willi sollte nie laufen, nie sprechen können. Wenn Müller über diese Zeit spricht, wird ihr Gesicht ganz still, sie lehnt sich in ihrem Stuhl zurück. Zwei Jahre lang kämpfte sie mit ihrem Mann Matthias und den Ärzten um das Leben ihres Sohnes, dann war er stabil. Das Paar baute ein Haus im Norden Hamburgs, zur selben Zeit wurde Olivia, eine gesunde Tochter, geboren. Die Freude war groß, doch die Erschöpfung noch größer – Birte Müller war am Ende ihrer Kräfte. Mit einer Erschöpfungsdepression ging sie, gemeinsam mit ihrer Tochter Olivia, in eine Klinik, um Kraft zu schöpfen.

»Ich fühlte mich der Welt einfach nicht mehr zugehörig.« Die Illustratorin, die heute wieder im Berufsleben steht, streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht. Sie wirkt plötzlich müde. Selbst Hilfe zu benötigen, das ist für Müller eine ungewohnte Rolle, sie ist ihr noch immer unangenehm. »Es ist schwer, Außenstehenden zu erklären, unter welcher Belastung wir noch immer leiden. Ich werde dabei oft missverstanden.« Dann kommt das Lächeln zurück, sie deutet auf zwei selbst gehäkelte VW-Bus-Modelle, die im Regal stehen. »Der erste Schritt zurück ins Leben war für mich das Häkeln von Spielzeug für Willi und Olivia.« Auch Willi machte erste Schritte, entgegen der ärztlichen Prognose lernte er laufen. Seine Eltern feiern glücklich jeden Fortschritt. »Seither ist es allerdings sein Hobby, wegzulaufen, sobald eine Tür offen steht«, stellt seine Mutter fest.

Nach langer Arbeitspause entwickelte Birte Müller zum zehnjährigem Bestehen ihrer Ateliergemeinschaft Goldbekhof einen Flyer zur Selbstdarstellung – widerwillig, auf Drängen der Atelierkollegen. Er handelt von ihrem Leben mit Willi. Der Anfang war gemacht, der Flyer fiel über Umwege Monika Osberghaus, Verlegerin des Klett Kinderbuch Verlags, in die Hände und wurde zur Grundlage des heutigen »Planet Willi«. Osberghaus griff zum Telefon, am anderen Ende der Leitung eine überraschte Birte Müller. »Ich wollte kein Buch über Willi machen, habe mich so abweisend wie möglich verhalten und gehofft, dass sie mich in Ruhe lässt.« Müller muss über sich selbst lachen bei der Erinnerung an die ersten abwehrenden Telefonate.

Die Frauen begannen trotzdem einen Austausch und steckten plötzlich mitten in der gemeinsamen Arbeit. Das Ergebnis ist ein Buch, das nicht nur für Familien mit ähnlichen Erfahrungen interessant ist. Denn wenige verstehen es wie Birte Müller, Kindern und ihren Eltern so leicht und dennoch ehrlich vom Anderssein in unserer Welt, von großer Anstrengung und bedingungsloser Liebe zu erzählen.

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Börsenblatt des Deutschen Buchhandels

»Durchgehen oder draufgehen«

Entspannt ist die Konzeption eines neuen Romans für Terézia Mora nie. Etwas entspannter nun aber mit dem Deutschen Buchpreis im Rücken. Ein Messerundgang mit der Preisträgerin 2013.

Manchmal fehlen auch jemandem wie Terézia Mora die Worte. »Ich habe keine Rede vorbereitet «, erklärt die Gewinnerin des Deutschen Buchpreises 2013 auf der Bühne im Frankfurter Römer und schweigt einen Moment in den Jubel und das Blitzlichtgewitter hinein. Eine letzte Atempause vielleicht, denn zum Schweigen wird die Autorin in den folgenden Tagen kaum noch kommen: Allgegenwärtig ist die 42-Jährige auf den Bühnen und vor den Kameras der Frankfurter Buchmesse unterwegs, nimmt Glückwünsche entgegen, beantwortet Fragen, schüttelt Hände. »Den Deutschen Buchpreis zu gewinnen, ist wirklich nicht wie in den Himmel kommen, aber es geht schon«, seufzt sie Tage später ironisch; da ist ihr Roman vergriffen, sie hat noch ihren blauen Rucksack auf den Schultern und wollte eigentlich gerade ein Glas Wasser trinken.

Terézia Mora spricht schnell, pointiert, sie lacht viel und widerspricht ihren Interviewpartnern gern. Die dunkelhaarige Frau mit der geraden Körperhaltung stammt aus einem Dorf in Ungarn und ist mit der deutschen und der ungarischen Sprache groß geworden. 1990 kam sie nach Berlin, studierte Theaterwissenschaft und Hungarologie sowie Drehbuchschreiben. Seit 1998 arbeitet sie als freie Autorin und übersetzt unter anderem den ungarischen Schriftsteller Péter Esterházy ins Deutsche.

Ihr Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: Vor 14 Jahren gewann sie den Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb, später den Preis der Leipziger Buchmesse und den Chamisso-Preis. »Das Ungeheuer«, erschienen im Luchterhand Verlag, ist ihr dritter Roman, für ihn wurde sie nun mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Gerechnet hat sie damit nicht. »Ich habe mir den Preis im Vorhinein ausgeredet, bei der Verleihung war ich dann wirklich überrascht, meinen Namen zu hören«, erklärt sie, und wer sie auf der Bühne erlebt, ihre Überraschung gesehen hat, weiß, dass das stimmt.

Den Deutschen Buchpreis kennt Mora übrigens auch von anderer Seite: 2006 gehörte sie zu der Jury, die Katharina Hacker zur Preisträgerin kürte. In »Das Ungeheuer« erzählt Mora nun die Geschichte von Darius Kopp und Flora Meier weiter, den Helden ihres zweiten Romans »Der einzige Mann auf dem Kontinent«. Die Seiten sind zweigeteilt in eine »Oberwelt« und eine »Unterwelt«: In der oberen Hälfte des Romans wird die Geschichte von Darius Kopp erzählt. Unten steht das Tagebuch von Flora, einer ungarischen Übersetzerin und Kopps Frau. Mehr als diese Texte sind Darius von Flora nicht geblieben, denn seine Frau hat sich umgebracht. Kopp macht sich mit Floras Asche im Kofferraum auf die Reise. Zunächst will er nur ihre Heimat Ungarn besuchen, dann fährt er nach Georgien, Albanien, Armenien, Griechenland und liest dabei Floras Tagebuch. Erst so erfährt er von ihren unheilbaren Depressionen und stellt fest, dass er von der Liebe seines Lebens sehr wenig wusste.

»Das Ungeheuer« also ist die Depression, eine Krankheit, für die Mora sich interessiert und mit der sie sich intensiv beschäftigt hat. »Ich hatte gewisse Vorkenntnisse theoretischer und praktischer Art und habe dann sehr viel gelesen«, erzählt sie in einem Gespräch bei 3sat. Mora hat ihre ganz eigene Sprache für die depressionskranke Flora entwickelt.
»Ich habe mich entschieden, Floras Text auf Ungarisch zu schreiben und ins Deutsche zu übersetzen. Zwischendurch habe ich die Entscheidung dafür allerdings mehrfach bereut, so schwierig war das.« Der Aufwand aber hat sich gelohnt: Das Ergebnis sind beeindruckend ursprüngliche, manchmal sperrige, fragmentarische Texte. Vieles wurde in den letzten Wochen über den Roman und seine Autorin geschrieben – gelesen hat Mora nichts davon. Sie will sich schützen. »Es wird immer Menschen geben, die das, was ich mache, hassen. Warum soll ich mir das antun?«, fragt sie.

Mit dem Deutschen Buchpreis im Rücken kann Mora sich nun in Ruhe dem nächsten Roman zuwenden. Die Auflage von »Das Ungeheuer« liegt derzeit bei 100 000 Stück. »Das ist gut, denn ich sorge mich bei jedem Buch, ob ich auch meinen Vorschuss wieder einspiele«, freut sie sich. So ganz entspannt sei die Konzeption eines neuen Buches trotzdem nie, aber sie habe ihren Weg für die Begegnung mit dem weißen Blatt gefunden. »Beim Bücherschreiben und beim Kinderkriegen heißt es: durchgehen oder draufgehen«, sagt sie. In ihrem neuen Roman wird es wohl auch um den Helden Darius Kopp gehen. »Eine Idee habe ich bisher nicht. Aber mir haben auf der Messe so viele Leute erzählt, dass sie eine hätten – bei denen würde ich mich dann gern melden.«

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Stiftungsbericht der Hertie Stiftung

»Vom täglichen Aufbruch ins Unbekannte.«

Radfahren verlernt man nicht, heißt es. Aber warum eigentlich nicht? Und was genau passiert in unserem Gehirn, wenn wir etwas lernen? Sonja Hofer, Professorin am Biozentrum der Universität Basel, sucht Antworten auf diese Fragen – und hat auch schon einige gefunden.

Die 36-Jährige erforscht, wie Lernen und Erfahrungen Spuren im Gehirn hinterlassen. In ihrer Sprache nennt sich das „die Entwicklung und Feinorganisation des visuellen Systems, vor allem die Verarbeitung und Speicherung sensorischer Informationen in den neuronalen Netzwerken des Großhirns.“

„Mich hat immer schon das ‚Warum‘ interessiert“, erzählt Hofer bei einem Besuch im Biozentrum Basel. Aus ihrem Büro im modernen Neubau der Universität geht der Blick weit über die Stadt. Hofer liebt ihre Arbeit, das Fragen stellen und Antworten suchen. Nach ihrem Biologiestudium an der TU München promovierte sie 2006 am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried und wechselte dann an das University College London, wo sie eine eigene Arbeitsgruppe etablierte.

Seit 2013 arbeitet sie nun als Assistenzprofessorin am Biozentrum der Universität Basel und leitet hier ein Team mit sechs Mitarbeitern – eine ganz neue Erfahrung für die junge Wissenschaftlerin. Für ihre Forschung hat Hofer bereits mehrere Preise erhalten, zuletzt wurde ihr der Eric Kandel Young Neuroscientists Prize der Hertie-Stiftung verliehen, dotiert mit 75.000 Euro. Mit diesem Preis zeichnet die Hertie-Stiftung herausragende Nachwuchswissenschaftler im Bereich Neurowissenschaften aus und unterstützt sie in ihrer Forscherlaufbahn. Die Hirnforscherin war überrascht, als sie davon erfuhr. „Ein Kollege hatte mich netterweise für den Preis vorgeschlagen, aber ich habe nicht im geringsten damit gerechnet, dass ich ihn bekomme“, so Hofer. An die Preisverleihung am 27. September 2013 in der Frankfurter Paulskirche erinnert sie sich gern, noch immer ist ihr die Rührung anzumerken. „Das war eine Erfahrung, die mich sehr beeindruckt hat.“ Hofer traf an diesem Abend auch den Namensgeber des Preises, Eric Kandel, und konnte ein paar Worte mit dem Nobelpreisträger und wahren Pionier der Gedächtnisforschung wechseln. Ein besonderer Moment für die Nachwuchswissenschaftlerin.

„Kandel persönlich zu treffen, hat mir viel bedeutet – und es schloss sich ein Kreis, denn meine Arbeit baut zum Teil auf seinen Ergebnissen auf“, erläutert sie. „Auf der Preisverleihung hat einer meiner Doktorväter dann eine wunderbare Laudatio gehalten. Es waren tolle Menschen da – ein wirklich erhebender Abend und eine Bestätigung, dass das, was ich tue, so ganz falsch nicht sein kann“, erzählt sie und wird kurz still.

Auch das Preisgeld von 75.000 Euro kann die junge Wissenschaftlerin gut gebrauchen – ein Drittel des Geldes fließt in die aktuellen Forschungsprojekte, zwei Drittel sind privat zu verwenden. „Ich habe als erstes ein Auto gekauft, den Rest des Geldes werden wir sparen – und sicher gute Verwendung dafür finden“, freut sie sich.

Hofer ist eine zierliche Person, die gern lacht und ihre Arbeit fest im Griff hat. Über ihre Bilderbuchkarriere staunt sie trotzdem manchmal noch selbst. „Ich hatte das große Glück, dass ich auf gute wissenschaftliche Fragestellungen interessante Antworten gefunden habe, dass ich in guten Laboren arbeiten durfte – und dass ich tolle Mentoren und Kollegen habe, mit denen ich mich austauschen kann“, erklärt sie. Durch die Verleihung des Eric Kandel Young Neuroscientists Prize und das damit verbundene Mentorenprogramm hat sie nun einen Mentor mehr: „Ich habe mich für den Wissenschaftler J. Anthony Movshon entschieden, ein renommierter Kollege, der viel Erfahrung und Wissen auf meinem Gebiet hat und an den ich mich nun jederzeit wenden kann – das ist ein großer Gewinn für mich.“ Preise und Auszeichnungen seien für Nachwuchswissenschaftler aus vielen Gründen überaus wichtig, meint Hofer, denn sie öffneten Türen und ermöglichten ein freieres Arbeiten.

Bei aller Freude über den eigenen Erfolg bedauert sie, dass die Herausforderungen an junge Wissenschaftler steigen. „Die Forschungsgelder werden weniger, dafür wächst die Anzahl junger Wissenschaftler. Um Forschungsgelder oder eine Stelle zu bekommen, müssen deshalb möglichst schnell möglichst interessante Ergebnisse publiziert werden“. Ihr Fazit: Viele Wissenschaftler werden früh in Bahnen gedrückt, die inhaltlich nicht so spannend sind, in denen sie aber sicher und schnell Ergebnisse finden.

Der Beruf des Forschers ist eigentlich kein Beruf, meint Hofer. Vielleicht ist es eher eine Haltung. Neugierig zu bleiben, nichts für gewiss zu nehmen und immer wieder ins Unbekannte aufzubrechen. „Das Schönste an meiner Arbeit ist die Abwechslung. Ich entwickle Fragestellungen, baue meine Mikroskope und Forschungs-Setups selbst zusammen. Ich muss Ingenieur sein, mechanische, elektronische und optische Bauteile entwickeln, ich arbeite mit Tieren und trainiere sie, muss medizinische Eingriffe vornehmen und lerne ständig dazu“, erzählt sie. Natürlich ist die Hirnforscherin auch viel unterwegs, hält Vorträge auf Kongressen und betreibt Öffentlichkeitsarbeit für ihre Forschungsergebnisse. Das ist in der Grundlagenforschung manchmal gar nicht so einfach. „Unsere Fortschritte und Erkenntnisse geschehen in ganz kleinen Schritten, die den Laien kaum interessieren und die auch schwer verständlich zu machen sind“, sagt sie und versucht es trotzdem noch einmal. „Uns interessiert: Was verändert sich im Gehirn, wenn wir lernen? Wie verändern sich die neuronalen Netzwerke?“

Herausgefunden haben die Hirnforscher, dass sich die Verbindungen zwischen den Zellen bei einer neuen Erfahrung verändern, die sogenannten Synapsen. Diese können die Wissenschaftler dank eines fluoreszierenden Proteins sichtbar machen und mit einem hochauflösenden Bildgebungsverfahren im intakten Gehirn einer lebendigen Maus sehen und verfolgen. Das Ergebnis: „Wenn eine Maus eine Erfahrung macht, dann werden in einem bestimmten Teil des Gehirns neue Synapsen gebildet. Das Gehirn passt sich also an die Erfahrung an“, so Hofer. Die Forscherin bewies, dass die Veränderung der Synapsen bestehen bleibt, auch wenn die Erfahrung vorbei ist. Macht das Tier dieselbe Erfahrung noch einmal, dann passt sich das Gehirn dadurch schneller an. „Unsere Schlussfolgerung ist: Es gibt eine Gedächtnisspur vergangener Erfahrungen, die es dem Gehirn erlaubt, diese auf Dauer zu speichern.“ Und das nennt sich dann Lernen.

Bei aller Liebe zu ihrem Beruf muss Hofer sich manchmal bemühen, nicht auch in der Freizeit über Fragestellungen und Forschungsmethoden nachzudenken. Verheiratet mit einem Wissenschaftler, dessen Büro neben ihrem liegt, ist das eine wahre Herausforderung. „Es ist ganz klar: Wir müssen das Leben in der Balance halten, damit es nicht eindimensionalwird, sondern inspirierend bleibt“, so Hofer. Und wie soll es in Zukunft weitergehen? „Ich hoffe natürlich, dass mein Team und ich unsere Forschung vorantreiben können, so dass aus vielen kleinen Fortschritten vielleicht größere Erkenntnisse werden. Mein Ziel ist, mit einem internationalen Netzwerk von Wissenschaftlern erfolgreich zu arbeiten und dann in der Zukunft andere Jungwissenschaftler auf ihrem Weg zu unterstützen.“

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Börsenblatt des Deutschen Buchhandels

»Schreiben ist ein heilsamer Prozess«

Romane helfen dabei, die Bruchstücke des Lebens wieder zusammenzufügen: sagt der britische Autor Graham Swift. Ein Gespräch über Glücksgefühle und sein neues Buch »Wärst du doch hier«.

Die Protagonisten Ihrer Romane befinden sich häufig in einer tiefen persönlichen Krise. Was interessiert Sie an den Momenten, in denen das Leben zusammenbricht?

Ich glaube, Verwirrtheit ist ein Zustand, in dem wir alle uns oft befinden. Viele Menschen finden das Leben verwirrend, auch wenn jeder versucht, es mit Grenzen und Strukturen zu ordnen. Wenn dann etwas Ernsthaftes passiert – in »Wärst du doch hier« stirbt der Bruder des Protagonisten Jack –, wenn unser Leben also zusammenbricht, dann haben wir das Bedürfnis, darüber zu sprechen. Und indem wir uns erzählen, wie wir an diesen Punkt gekommen sind, können wir die Stücke unseres zerbrochenen Lebens wieder zusammenfügen. Das ist es, was ich beruflich mache: die Stücke wieder zusammentragen. Geschichten zu erzählen und zu lesen ist nicht nur Unterhaltung. Ich denke, es ist ein rettender, ein heilender Prozess. Romane können uns helfen, mit unserer eigenen Verwirrtheit und den eigenen inneren Konflikten klarzukommen.

Den Menschen, die Sie in Ihren Romanen beschreiben, ist ihre Verwirrtheit äußerlich nicht unbedingt anzusehen. Jack zum Beispiel ist ein stiller Mann, verheiratet, Besitzer eines Wohnwagen-Parks. Warum schaffen Sie am liebsten Charaktere, die ihr Innenleben kaum nach außen tragen?

Ich bin überzeugt davon, dass Menschen weit mehr in sich haben als sie ausdrücken können oder sogar wissen. Es ist menschlich, aber immer ein Fehler, andere zu unterschätzen, ihnen die Tiefe abzusprechen. Diesen Fehler können Romane korrigieren. Ich halte das für eine wichtige Aufgabe, zu zeigen, was im Menschen ist. Die Welt leidet wirklich darunter, dass das, was die Menschen zeigen, für das gehalten wird, was sie sind. Und ich kenne das doch von mir selbst: dass beim
Schreiben etwas Überraschendes aus mir herauskommt, von dem ich vorher nichts wusste.

Sie haben mittlerweile neun Romane geschrieben, für »Letzte Runde« wurden Sie 1996 mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet. Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?

Ich hatte schon zu Schulzeiten die Sehnsucht danach, Schriftsteller zu sein. Ich habe diesen Wunsch aber lieber für mich behalten, schließlich hatte ich noch keine Zeile geschrieben und war unsicher, ob ich das Talent dazu habe. Ein großes Problem war, dass ich dachte, es gäbe geborene Schriftsteller, die dieses Geschenk haben, das sie der Welt geben, die gar nicht anders können, sie tun es einfach, sie schreiben. Mir war klar, ich war das nicht, aus mir muss ich erst einen Schriftsteller machen. Heute weiß ich, dass es allen so geht. Auch die, die wie wahre Naturgewalten wirken, sie arbeiten hart, um diesen Effekt zu erzielen. Ich habe dann während meines Studiums begonnen, Kurzgeschichten zu schreiben, nach dem Motto »trial and error«. Nach und nach habe ich Vertrauen gefasst und die Texte an Verlage gesendet. Viele kamen sofort zurück. Doch irgendwann wurden einige gedruckt, und gegen Ende meines Studiums begann ich einen Roman zu schreiben.

Was hat Sie bei Tiefschlägen bestärkt, weiterzumachen?

Ich denke, tief in mir wusste ich, dass es das ist, was ich war und bin: ein Schriftsteller. Damals hatte ich es nur noch nicht bewiesen. Und auch, wenn ich es nicht geschafft, wenn ich versagt hätte und heute nicht vom Schreiben leben könnte: Das war es, was ich war. Das ist es, was ich bin. Man kommt an sich selbst nicht vorbei.

Sie beschreiben Orte und Menschen mit einer berührenden Lebendigkeit. Welche Rolle spielt die Recherche bei Ihrer Arbeit?

Ich recherchiere nicht viel. Eigentlich schreibe ich erst und recherchiere hinterher. Ich habe großes Vertrauen in die Imagination, die uns tatsächlich zu Orten bringen kann, wo wir noch nicht waren. Recherche steht der Imagination im Weg. Wenn das Schreiben gut läuft, dann habe ich das Gefühl, die Imagination ist eine größere Kraft als ich selbst. Ich denke, das ist es, was Menschen Inspiration nennen. Das ist das seltene, kostbare Gefühl, dass es etwas gibt, das durch dich arbeitet. Das Wunderbare daran ist, Dinge zu entdecken, die aus dir kommen, von denen du aber nicht wusstest, dass du sie in dir hast. Ich habe nur wenige Male im Jahr dieses Gefühl, aber das ist so aufregend, dass es das ganze andere wettmacht. Und es ist nah dran an dem Gefühl, ein geborener Schriftsteller zu sein.

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Buchjournal

»Jeden Tag ist der Himmel anders«

Dörte Hansen geht fast täglich auf den Deich. Vor 10 Jahren ist die Autorin mit ihrer Familie aus dem Hamburger Szeneviertel Ottensen ins Alte Land südlich der Elbe gezogen, ein Obstanbaugebiet unweit der Hansestadt, bekannt für Äpfel, Kirschen und Bauernhäuser.

„Auch wenn das Alte Land eine durchgeplante Naturlandschaft ist: Hier kann ich sehen, wie das Wetter ist, dass die Vögel zurückkommen. Und jeden Tag ist der Himmel anders“, erzählt Hansen bei einer Tasse Kaffee in ihrer apfelgrün gestrichenen Wohnküche. Ihren ersten Roman „Altes Land“, sagt sie, hätte sie in der Stadt niemals schreiben können – zu eng, zu verbaut, zu wenig Himmel sichtbar. Anders als auf dem Deich.

Die zierliche Autorin spricht wie sie schreibt: lebendig, warmherzig, norddeutsch. In ihrer Sprache liegt etwas Zupackendes, Bodenständiges, auch wenn es um die sanften Zwischentöne geht. Und immer wieder blitzt ein feiner Humor durch ihre Sätze. Zu Hause, bei ihrer Familie in Nordfriesland, wurde früher, in den 60er und 70er Jahren, nur Plattdeutsch gesprochen, erst in der Grundschule begriff sie, dass es noch andere Sprachen gibt – und konnte nicht genug davon bekommen. Sie studierte Sprachen wie Gälisch, Finnisch oder Baskisch und promovierte anschließend in Linguistik. Den Wunsch, ein Buch zu schreiben, hatte sie bereits als Kind, leicht fällt ihr das Schreiben dennoch nicht. „Ehrlich gesagt ist es eine Tortur, wie beim Joggen. Ich liebe es, gejoggt zu haben wie das Gefühl, geschrieben zu haben – und quäle mich dabei sehr.“

Hansens Debüt „Altes Land“ umfasst beide Lebenswelten der Autorin: Stadt und Land, Hamburg und das Obstanbaugebiet südlich davon. Kurz nach Erscheinen steht das Buch auf der Spiegel-Bestsellerliste und vom NDR wurde es zum „Buch des Monats März“ gewählt. Das freut die Autorin besonders, schließlich hat sie bis vor wenigen Jahren als Journalistin für den NDR gearbeitet. „Ich habe es sehr gemocht, Geschichten über die Menschen aus dem Norden zu erzählen. Und immer gedacht, dass das, was ich mir ausdenke, nie so spannend sein kann wie die Menschen, über die ich als Reporterin berichte“. Sie hat sich geirrt.

Ihr Roman erzählt auf berührende Weise von Flucht und der Suche nach Heimat, von Scheitern und Neubeginn, von zwei Frauen, die im richtigen Moment für einander da sind: Vera und Anne. Vera, 1945 als Flüchtlingskind ins Alte Land gekommen und doch nie heimisch geworden, wohnt allein in einem der riesigen, alten Bauernhäuser, das sie zum Missfallen der Dorfgemeinschaft immer weiter verfallen lässt. Anne ist Musiklehrerin in Hamburg, von dem Vater ihres Sohnes Leon hat sie sich getrennt, nun sucht sie Unterschlupf bei Vera. Die beiden Frauen nähern sich einander über das jahrhundertealte Haus an – und geben sich letztendlich etwas von dem, was sie aus ihrer persönlichen Geschichte heraus nicht haben: Heimat.

Hansen kennt sie selbst, die Suche nach einem Ort, an dem man sich heimisch fühlt. „Ich bin auf dem Land aufgewachsen, habe lange in der Stadt gelebt, jetzt bin ich wieder auf dem Land. Und denke auch jetzt wieder: Ja, es passt hier, aber irgendwas anderes ist da auch noch. Die Frage bleibt immer: Wo bin ich zugehörig?“ Heimat, so meint sie, müsse nicht räumlich verortet sein. „Heimat ist da, wo ich mich nicht mehr erklären muss“.

Auch das Alte Land verändert sich, Traditionen und klare Strukturen verschwinden, davon erzählt Hansen in ihrem Buch, von den stolzen, alten Bauernhäusern, die nach Jahrhunderten ihre Bedeutung verloren haben, zur Last werden, leer stehen. „Hier geht etwas zu Ende, das ist traurig“, sagt sie. Und doch auch ein guter Zeitpunkt, Neues zu beginnen. Für Hansen ist das ihr zweites Buch, jeden Tag hat sie sich von 8 bis 12 Uhr ein Zeitfenster fürs Schreiben reserviert. Erst einmal will sie aber einen Moment innehalten. „Ich weiß, dass ich mit dem Erfolg meines ersten Romans ein echter Glückspilz bin. Das will ich auch wahrnehmen und genießen“.

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Publikation zum 10jährigen Jubiläum der TUI Stiftung

Herzlichen Glückwunsch!

Die TUI Stiftung ist zehn Jahre alt geworden. Wie kam es denn zur Gründung der Stiftung?

Dieter Brettschneider: Ein kurzer Blick zurück: Die TUI Stiftung wurde im Jahr 2000 gegründet. Anlass war damals das 75-jährige Jubiläum der Preussag AG, dem Rechtsvorgänger der TUI AG. Mit Gründung der Stiftung wollte das Unternehmen ein Zeichen setzen für die Wahrnehmung ihrer gesellschaftlichen Verantwortung. Ich erinnere mich, dass damals auf ein Fest zum Jubiläum verzichtet wurde. Insgesamt wurden 20 Millionen DM in die Stiftung eingesetzt – und dann ging`s los.

Henrik Homann: Das gilt heute natürlich genauso für die TUI AG. Sie nimmt als niedersächsisches Unternehmen unter anderem mit dem gesellschaftspolitischen Engagement der TUI Stiftung ihre Verantwortung hier vor Ort wahr. Sie ist schließlich einer der großen Arbeitgeber der Region.

Wie wichtig ist der Standort Hannover in der Arbeit der TUI Stiftung?

Henrik Homann: Wichtig. Unser Unternehmen hat seinen Sitz in Hannover und hier leben viele unserer Mitarbeiter. Deshalb fördern wir Projekte, die in und um Hannover stattfinden – und das wollen wir auch weiterhin tun.

Arbeiten Sie dabei auch mit anderen Stiftungen zusammen?

Elke Hlawatschek: Ja, das tun wir und zwar sehr gern. Die Kooperation mit anderen Stiftungen sorgt für eine Bündelung von Engagement und finanziellen Fördermitteln - das ist bei einigen großen Projekten sinnvoll. Es ist auch von Vorteil, dass wir uns untereinander über die Qualität von Projekten austauschen können. Darüber, ob ein Projekt förderungswürdig ist. Wir sind dankbar dafür, dass wir mit unseren Stiftungskollegen in einem engen Erfahrungsaustausch stehen und uns so gegenseitig befruchten können.

Wann ist ein Projekt denn förderungswürdig?

Dieter Brettschneider: Voraussetzung ist zunächst einmal, dass es in unseren Förderkatalog passt. Die TUI Stiftung hat drei Förderschwerpunkte: „Bildung und Ausbildung“, „Wissenschaft und Forschung“ und „Kunst und Kultur“. Wir wollen Projekte fördern, die bei den Menschen ankommen und nachhaltige Wirkung zeigen.

Henrik Homann: Die Dokumentation des persönlichen Engagements ist wichtig für uns. Der Wille zum Erfolg. Die Leidenschaft, etwas zu bewegen. Ein Projekt überzeugt auch dadurch, dass es langfristig ohne die Unterstützung der TUI Stiftung erfolgreich stattfinden kann. Dann sind wir gern mit dabei und wissen, dass die Mittel, die wir zur Verfügung stellen, erfolgreich genutzt werden.

Sind die Förderbereiche „Bildung und Ausbildung“, „Wissenschaft und Forschung“ und „Kultur“ gleichberechtigt oder gibt es ein Schwerpunktthema?

Elke Hlawatschek: Die Förderbereiche sind uns durch die Satzung im Prinzip vorgegeben. Innerhalb der Satzung hat das Kuratorium Schwerpunkte gesetzt. Finanziell gesehen wird der Bereich Wissenschaft und Forschung derzeit anteilig am stärksten gefördert. Wahrgenommen werden wir allerdings eher als Bildungsstiftung.

Henrik Homann: Das liegt daran, dass wir insbesondere im Rahmen der Ausbildungsoffensive in den ersten Jahren viel im Bildungsbereich gefördert haben.

Elke Hlawatschek: Das stimmt. Schwerpunkte bilden sich aber auch daraus, welche interessanten Projekte sich bei uns bewerben – darauf haben wir ja keinen Einfluss. Daran lassen sich gesellschaftliche oder politische Veränderungen erkennen, derzeit zum Beispiel im Bildungsbereich. Die Zahl der Bewerbungen liegt übrigens zwischen 200 und 250 im Jahr. Im Schnitt werden 30 bis 40 davon bewilligt.

Gibt es rückblickend Förderprojekte, die einen besonderen Meilenstein in der Geschichte der TUI Stiftung darstellen?

Dieter Brettschneider: Für mich sind das Projekte, bei denen wir Menschen, die in unserer Gesellschaft wenig Chancen haben, durch unsere finanzielle Unterstützung sehr direkt geholfen haben ¬– zum Beispiel mit der Ausbildungsoffensive. Projekte, in denen wir Menschen eine Anschubhilfe geben, damit sie ihr Leben selbständig meistern können. Nennen möchte ich auch die Forschungsprojekte an der Medizinischen Hochschule Hannover. Hier konnten wir mit unserer Unterstützung einen kleinen Beitrag zur Entwicklung neuartiger Behandlungsmethoden leisten – zum Wohle vieler Patienten.

Henrik Homann: Die wissenschaftliche Begleitforschung zum Projekt „Pro Kind“ ist für mich ebenfalls ein Meilenstein. Das war das erste wirklich größere Projekt, an das wir uns herangewagt haben, und es ist über die Jahre immer weiter angewachsen. Diese wissenschaftliche Begleitforschung zeigt, so hoffen wir, dass es sinnvoll ist, sozial benachteiligte Familien schon vor der Geburt eines Kindes zu unterstützen, um für eine positive Kindesentwicklung zu sorgen.

Dieter Brettschneider: Was meinen Sie, Frau Hlawatschek?

Elke Hlawatschek: In dieser Publikation stellen wir ja – nach dem Motto „10 Jahre, 10 Geschichten“ ¬– Projekte vor, die alle auf ihre Art Meilensteine waren. Aber auch alle anderen Projekte waren gut, aus allen lässt sich etwas lernen. Grundsätzlich finde ich wichtig, dass wir eine gute Mischung aus großen und kleineren, herausfordernd neuen, risiokoreichen und schon ein wenig etablierten Projekten haben. Besonders spannend finde ich es, wenn es Überschneidungen der Bereiche gibt, zum Beispiel zwischen Bildung und Kunst und Kultur. Kulturelle Bildung ist für mich derzeit ein wichtiges Thema im Bereich der Förderung von Kindern und Jugendlichen.

Ein Blick in die Zukunft: Wo soll es hingehen für die TUI Stiftung?

Elke Hlawatschek: Wir wollen auch künftig zur Diskussion aktueller gesellschaftlicher Themen anregen. Das tun wir im Rahmen von Tagungen, die wir veranstalten und mit denen wir ein wenig über den Tellerrand der alltäglichen Förderpraxis hinausblicken wollen. Wir lassen Experten zu Wort kommen und laden Interessierte herzlich zur Teilnahme ein.

Henrik Homann: Die Gesellschaft verändert sich und mit ihr verändern sich die Bedürfnisse. Danach richtet sich auch die TUI Stiftung. In den ersten Jahren haben wir Schulen bei der Ausstattung mit Computern unterstützt – das ist weitestgehend passé, inzwischen ist der Grundbedarf gedeckt. Dann ging es um die Schaffung von Ausbildungsplätzen – auch hier lässt der Bedarf nach. Derzeit ist die Integration ein relevantes Thema. Diesen gesellschaftlichen Strömungen oder Nöten stellen wir uns. Und sind gespannt, was da auf uns zukommt.

Dieter Brettschneider: Für die Zukunft gilt: Es wird neue Herausforderungen und Fragestellungen geben, auf die wir reagieren müssen. Dabei halten wir uns an das Motto, das wir dieser Publikation voran gestellt haben: »Tu, wo du bist, was du kannst, mit dem, was du hast.« Das werden wir mit vollen Einsatz tun.

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Abschied auf der Langen Reihe

Am 31. Januar 2015 schließt eine Hamburger Institution ihre Türen: die schwul-lesbische Buchhandlung Männerschwarm, seit 1981 Anlaufstelle für jeden, der Interesse an Literatur rund um das Thema Homosexualität hat. Männerschwarm ist ein Vollsortimenter, von Anfang an von engagierten Buchhändlern mit dem Ziel betrieben, der Vielfalt schwul-lesbischer Literatur und Lebensweisen eine Heimat zu geben.

Einfach sei es nie gewesen, sagt Buchhändler Volker Wuttke, der „Männerschwarm“ jetzt gemeinsam mit seinem Kollegen Hans-Jürgen Köster in die Liquidation führt. Ohne die Bereitschaft zur Selbstausbeutung und ohne die Unterstützung vieler Menschen aus der schwul-lesbischen Szene (und darüber hinaus) wäre schon viel früher Schluss gewesen. Wuttke sitzt an einem Tisch in seiner Buchhandlung, der Blick geht hinaus auf die „Lange Reihe“ des Hamburger Stadtteils St. Georg, eine Gegend, in der viele Homosexuelle zu Hause sind. Seit zwölf Jahren ist „Männerschwarm“ hier situiert – vorher lag die Buchhandlung am Hamburger „Pferdemarkt“ – und vor knapp zehn Jahren begann Wuttke hier seine Ausbildung zum Buchhändler. „Damals waren wir noch ein Team von fünf Kollegen“, erinnert er sich. Seitdem ist der Umsatz der Buchhandlung kontinuierlich gesunken, von den fünf Kollegen ist neben Wuttke nur noch Hans-Jürgen Köster übrig, der seit den 80er Jahren in der Buchhandlung arbeitet.

Für den Umsatzrückgang gibt es Wuttkes Meinung nach eine Reihe von Gründen. „Verändertes Leseverhalten und Online-Buchhandel machen auch vor der schwul-lesbischen Szene nicht halt. Auch das Segment „DVDs“, das immer ein respektabler Umsatzbringer für uns war, ist mittlerweile rückläufig“. Doch darüber hinaus gebe es auch Veränderungen in der Zielgruppe der Buchhandlung, eine „schwule Community“, wie es sie in den 80er Jahren gab, gebe es heute nicht mehr. Das kann einerseits positiv begründet sein: Homosexuelle sind gesellschaftlich integrierter. Doch Wuttke sieht auch andere Tendenzen. „Das gilt nur für die jüngere Generation. Es gibt eine Gegenbewegung, die sich unter „konservativen Homosexuellen“ subsumieren lässt. Diese Gruppe möchte gern als schwul akzeptiert sein, aber keinesfalls als schwul auffallen und deswegen auch nicht in einem schwulen Buchladen einkaufen gehen“. Nicht nur „Männerschwarm“ leidet unter dieser Entwicklung. „Vor drei Jahren hat die Münchner Buchhandlung Max & Milian geschlossen, vor zwei Jahren haben die Frankfurter Kollegen aufgegeben“, so Wuttke.

Ein weiterer Aspekt, der Männerschwarm das Leben schwer macht: Die Kaufhauskette „Brunos“ mit ihrem „Lebensstil für den schwulen Mann“, die vor sechs Jahren wenige Meter entfernt ihre Türen öffnete und unter anderem ein breites Sortiment an schwuler Literatur anbietet – insbesondere die Bücher und Magazine des Bruno Gmünder Verlags, der hinter „Brunos“ steht.

Verlag bleibt bestehen

Bei aller Wehmut sieht Wuttke positiv in die Zukunft. „Von unserer Schließung unberührt bleibt der Männerschwarm Verlag“, sagt er. „Im Februar werden wir uns mit den Kollegen und vielen anderen Männerschwarm-Freunden zusammensetzen und ein Geschäftsmodell für die Zukunft entwickeln“. Bis dahin bleibt noch viel zu tun: Das Weihnachtsgeschäft ist bereits in vollem Gange und im Januar sind noch verschiedene Veranstaltungen geplant. Am 24. Januar lädt Männerschwarm dann zu einem letzten Sektempfang. Und dann? „Uns fällt sicher was ein“, sagt Wuttke und sieht ganz optimistisch aus.

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»einfach einfach«, Kundenmagazin von TA Triumph-Adler

Einfach arbeiten

Herr Rach, Sie sind Sternekoch, Unternehmensberater und führen vier Restaurants in Hamburg. Zuletzt waren Sie mit einer Sendung zum Ausbildungsrestaurant Slowman im Fernsehen zu sehen. Das ist eine Menge Arbeit, oder?

Zunächst einmal: Wussten Sie eigentlich, dass Günther Jauch seine Moderationskarten immer auf einer alten TA Triumph-Adler-Schreibmaschine tippt? Ich weiß, heute macht TA Triumph-Adler keine Schreibmaschinen mehr, aber das ist doch bemerkenswert. Zurück zu Ihrer Frage: Also, ich schaffe das, indem ich mich immer auf das Wesentliche konzentriere. Das klingt so einfach, ist es aber nicht. Dafür muss ich Verantwortung abgeben, Vertrauen haben, Führung delegieren und viel kommunizieren.

Mit dem, was Sie tun, sind Sie sehr erfolgreich. Wie erklären Sie sich das?

Zum Erfolg gehören meiner Meinung nach mehrere Faktoren. Zunächst einmal gehört jede Menge harte Arbeit dazu. Ich kenne niemanden, der langfristig erfolgreich ist, ohne hart dafür zu arbeiten. Dazu kommt eine große Portion Glück. Egal, was für ein Genie Sie sind – Sie müssen im richtigen Moment am richtigen Ort sein. Jemand, der das nicht akzeptiert, der hat es nicht verstanden. Und ich behaupte, je authentischer Sie sind ist, je mehr Sie bei sich sind, um so eindeutiger ist Ihr Erfolg.


In den letzten sechs Jahren haben Sie als „Rach, der Restauranttester“ viel unternehmerisches Gelingen und Scheitern miterlebt. Welches Fazit können Sie daraus ziehen?

Ganz einfach: Ich stoße immer wieder auf ein klares Führungsproblem. In erster Linie berate ich ja kleine Unternehmen, keine großen Firmen. Das Problem ist, das viele Geschäftsführer ihr Geschäft nicht führen. Einfach deswegen, weil sie keine Führer sind. Das Wort Führer ist bei uns ja negativ besetzt. Aber es gibt ja Gott sei Dank das Wort Geschäftsführer, aber nicht alle sind Manager. Kurz und gut: Das größte Problem ist, dass diese Leute nicht führen.


Was macht denn gute Geschäftsführung aus?

Voraussetzung ist zunächst, dass ich mich selber kenne, meine Stärken und Schwächen. Dann muss ich mein Ziel kennen. Und wenn ich definiert habe, was ich kann und wohin ich will, kommt die Frage: Wen brauche ich an meiner Seite, um das zu erreichen? Wenn ich keine Begabung zum Betriebswirt habe, dann brauche ich einen betriebswirtschaftlichen Kompagnon. Wenn ich nicht der geborene Servicemitarbeiter bin, brauche ich jemanden, der das gut und gerne macht. Diesen Überlegungen stellen sich weder der kleine Gemüsehändler noch die Führungsetagen der großen Unternehmen ausreichend.

Als „Rach, der Restaurant-Tester“ sind Sie jeweils eine Woche als Berater vor Ort. Wie hoch ist Ihre Erfolgsquote?

Wenn ich die gesamten letzten sechs Jahre anschaue, haben es etwa 50% der Kollegen geschafft, ihre Restaurants auf solide Beine zu stellen. Am Anfang waren es sogar noch mehr. Aber für den einen oder anderen kam dann nach zwei oder drei Jahren doch noch das Aus. Es gibt auch diejenigen, die noch nicht mal den Sendetermin mehr erleben. Trotzdem: 50% sind für mich eine irre Erfolgsquote.

Und wie schaffen Sie es, die Menschen in schwierigen Situationen so zu motivieren, dass sie wieder erfolgreich arbeiten können?

Das ist die größte Herausforderung. Es geht nicht darum, dass ich sage, jetzt machst du die Ente immer so und wenn du dann zehn Jahre lang die Ente so machst, dann hast Du Erfolg. Das ist natürlich völliger Quatsch. Ich kann nur sagen, wenn Du jetzt eine Ente machst, dann könnte das Teil eines funktionierenden Geschäftsmodells sein. Aber machen und ausführen musst Du es selber. Die Verantwortung für diese Veränderung muss ich bei meinem Gegenüber lassen. Entscheidend für den Prozess ist, dass ich zu den Menschen durchdringe, sie erreiche. Das tue ich, indem ich offen und ehrlich bin und mir im Gespräch und in der Analyse viel Zeit nehme – bis es wehtut. In dem Moment, in dem wir unsere Fehler erkennen und Schwäche zulassen, wird Veränderung möglich. Das vermeintlich stabile Gerüst gerät ins Wanken und wir können über uns hinaus wachsen. In der Sendung können wir das nur ansatzweise zeigen. Ich finde, es geht die Millionen Zuschauer nichts an, wenn jemand die Hosen fallen lässt und über seine Grenzen geht.


2010 haben Sie mit “Rachs Restaurantschule” ein Projekt gestartet, das im Rahmen einer „Real-Life-Doku“ auf RTL übertragen wurde. Was genau waren Idee und Ziel des Projekts?

Das Ziel ist, Ausbildungsstätten für Menschen zu schaffen, die auf dem ersten und zweiten Arbeitsmarkt keine Chance haben. So ein Platz soll das Ausbildungsrestaurant „Slowman“ im Hamburger Chilehaus sein. Wir können nicht immer auf die Politik schimpfen, wir müssen selber die Verantwortung für Verbesserungen übernehmen. Und ich finde, wir haben gezeigt, dass das Konzept Erfolg haben kann.

Was war dabei die größte Herausforderung?

Das war der menschliche Faktor: Meine Enttäuschung darüber, dass einige Menschen ihre Chancen leichtfertig vertun. Der arrogante, teilweise ignorante Umgang einiger Teilnehmer mit ihrer eigenen Zukunft. Es gab tatsächlich Teilnehmer, die waren erst total motiviert und ich konnte sie irgendwann trotzdem nicht mehr einfangen. Da habe ich meine eigenen Grenzen kennengelernt, das war für mich nicht leicht zu verkraften.


Wie viele der Auszubildenden, die angefangen haben, sind denn geblieben?

Von neun, die wir in ein Ausbildungsverhältnis übernommen haben, sind vier geblieben. Der entscheidende Punkt ist, das nicht persönlich zu nehmen. Das habe ich irgendwann, auch nach Gesprächen mit Sozialarbeitern und Polizisten, verstanden. Der Anspruch, allen zu helfen, ist löblich, aber nicht realistisch, denn jeder einzelne Teilnehmer hat seine eigene Geschichte, sein eigenes Päckchen zu tragen. Das Projekt ist für mich ein Erfolg, weil wir vielen Menschen eine Perspektive geben. Deswegen würde ich das wieder machen. Und ich würde das Konzept auch anderen Branchen empfehlen, denn alle Beteiligten lernen daraus und wir geben Menschen eine Chance, die unserer Gesellschaft sonst verloren gehen. Übrigens: Es können sich Interessierte weiterhin für eine Ausbildung im Slowman bewerben.


Für die Teilnehmer war diese Ausbildung war eine große Chance. Warum konnten sie die nicht nutzen?

Das ist für mich eindeutig: Die Gesellschaft hat sich gewandelt und das begrüße ich sehr. Aber wir müssen auf diesen Wandel reagieren, denn die Familie bleibt dabei auf der Strecke. Das Ergebnis ist, dass unsere Kinder und Jugendlichen nicht auf das Leben vorbereitet sind. Familie, egal ob Mann und Mann, ob Mann und Frau, oder Frau und Frau sie gründen, ist das Rüstzeug der Gesellschaft. Der Staat, Kindergarten, Ganztagsschule können sie nicht ersetzen. Doch sowohl die Arbeitgeber als auch der Staat entziehen sich der Verantwortung, Voraussetzungen zu schaffen, die der Familie Raum geben. Sehen Sie zum Beispiel hier diese wunderschöne Hamburger Hafenkante mit ihren wunderschönen Gebäuden. Das sieht großartig aus, wenn Sie mit dem Schiff vorbeifahren. Da sitzen viele erfolgreiche Firmen. Aber: Es gibt in der gesamten Meile hier keinen einzigen Raum für Kinder. Warum nicht? Zum Beispiel wurde für den Flutschutz eine Gesellschaft gegründet, an der sich alle finanziell beteiligen mussten, die hier bauen wollten. Wie kann es sein, dass wir dafür anstandslos zahlen, und zwar nicht wenig, aber nicht für die Betreuung der Kinder? Ich weiß nicht, wie viele tausend Mitarbeiter hier arbeiten. Aber vermutlich wäre es für jeden zweiten ein Segen, wenn es in einem dieser wunderbaren Gebäude einen Erdgeschossteil gäbe, wo ein Kindergarten oder eine Kindertagesstätte Platz hat. Finanziell wäre das ein Leichtes. Aber es wird nicht gemacht. Und dann wundern wir uns, dass an vielen Ecken und Enden die Sozialisation scheitert. Wo soll sie denn auch stattfinden? Die Politik arbeitet sich an Nebenschauplätzen ab und wir streiten uns in Deutschland um einen Bahnhof. Das ist doch absurd.

Ein weiterer Grund, warum die Jugendlichen mit der Ausbildung überfordert waren: Ich glaube, der Prozess des „Reifens“ verschiebt sich in unserer Gesellschaft weiter nach hinten. Die vier, die geblieben sind, waren alle älter. Wir verkürzen die Schulzeiten, dafür sollen die Schultage bis 17.00 Uhr gehen. Ich halte das für eine Riesengefahr, denn unsere Kinder können so ihre Kreativität nicht entwickeln. Sie haben keine Zeit für Spiele, Musik, Jugendgruppen, für kreativen Müßiggang oder Sport. Wenn unser Schulsystem für persönliche Entwicklung keinen Raum lässt und wenn unser Wirtschaftssystem Familie nicht unterstützt, haben wir ein echtes Problem.

Sie haben 2010 bekannt gegeben, dass Sie nach 23 Jahren Ihr Restaurant, das „Tafelhaus“, schließen. Warum haben Sie sich dazu entschieden?

Zunächst einmal: Es ist wichtig, den Moment des Aufhörens selber zu bestimmen und nicht aufgehört zu werden. In meinem Metier ist das nicht üblich, da hört keiner auf. Aufhören wird sehr schnell als Schwäche ausgelegt. Und es ist für viele auch schwer: Entweder sie finden keinen, der die Nachfolge übernimmt, oder sie haben ihre gesamte Rente, die kleine Lebensversicherung, schon wieder in den Betrieb investiert, weil die schwachen Zeiten überbrückt werden mussten, und können sich das Aufhören nicht leisten. Nicht selten geht die Familie daran kaputt. Ich sage: Wir müssen früher aufhören zu arbeiten. Es gibt wenig Berufe, die so anstrengend sind wie ein guter Koch zu sein. Ich arbeite jetzt seit 23 Jahren 80 Stunden in der Woche. Diesen Druck möchte ich mir nicht mehr machen. Das Leben bietet andere Facetten. Es gibt bis jetzt nur einen einzigen berühmten Koch, das ist Dieter Müller, der irgendwann mit sechzig gesagt hat: Ich mache etwas anderes. Das ist großartig, Applaus, mein ganzer Respekt: Davon gibt es zu wenige. Ich glaube, man muss in sich hineinhorchen, und dann weiß man, wann es genug ist. Das habe ich getan. Und eigentlich habe ich damit nur das beherzigt, was ich sonst anderen predige. Ich werde ja nicht aufhören zu arbeiten. Ich schaffe nur Raum für Neues – und habe dafür schon viele Pläne im Kopf.

Eine letzte Frage an den Sternekoch: Wie brät man ein gutes Schnitzel?

Indem man es gar nicht brät. Also, wenn Sie es so richtig perfekt wie die Spitzenköche machen wollen, dann haben Sie drei Pfannen mit Öl: von heiß bis mittelheiß bis weniger heiß. Dann dauert ein Schnitzel übrigens nur 30 Sekunden. Geben Sie soviel Butterschmalz dazu, dass es nicht damit bedeckt ist, aber Sie es bewegen können. Sie geben das Schnitzel zuerst ins heiße Öl, dann dringt das Fett nicht in das Schnitzel, in die Panade hinein. Da bleibt es nur 10 Sekunden. Dann geben Sie es in das mittelheiße Öl, da bleibt es 15 Sekunden. Zum Nachziehen geben Sie das Schnitzel dann noch für ein paar Sekunden ins weniger heiße Öl. Fertig. Aber zu Hause werden Sie das kaum machen können – sorry.

Vielen Dank für den Tipp!
Gern geschehen!

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»einfach einfach«, Kundenmagazin von TA Triumph-Adler

Einfach leben

Einfach leben ist manchmal ganz schön schwierig. Das weiß auch Pater Anselm Grün, Mönch in der Abtei Münsterschwarzach. Und rät, den Herausforderungen des Lebens mit einer großen Portion Gelassenheit zu begegnen.

Pater Anselm, Sie sind seit 45 Jahren Mönch in der Abtei Müsterschwarzach. Als wirtschaftlicher Leiter, Cellerar nennt sich das bei Ihnen, sind Sie verantwortlich für gut 300 Mitarbeiter in über 20 Betrieben. Als Autor haben Sie bisher rund 300 Bücher geschrieben. Sie halten zahlreiche Vorträge und Seminare, sind für viele Menschen spiritueller Begleiter. Führen Sie nicht ein ganz schön stressiges Leben?

Stressig ist es nicht, sondern es macht Spaß. Das Leben im Kloster ist sehr rythmisiert. Auch C. G. Jung, der Schweizer Therapeut, sagt, wer im Rhythmus arbeitet, der kann mehr arbeiten. Viele sind heute ausgebrannt, weil sie gegen ihren eigenen Rhythmus arbeiten und sich unter Druck setzen.

Und wie machen Sie das: sich nicht unter Druck setzen?

Ich bin jetzt seit 45 Jahren im Kloster und zu meinem geistigen Weg gehört es, Gelassenheit zu üben und das eigene Ego halt nicht so wichtig zu nehmen.

Kann man diese Gelassenheit nur durch eine innere Haltung erreichen oder helfen da auch ganz praktische Maßnahmen?

Das sind zwei Dinge: Struktur und Rituale und guter Rhythmus, das sind die äußeren Bedingungen für eine innere Gelassenheit. Dazu kommt die innere Haltung, eine spirituelle Haltung. Dazu gehört, dass ich mich nicht ständig beweisen muss, sondern weiß: Ich bin gut so wie ich bin. Diese innere Freiheit macht unabhängiger.

Sie geben monatlich einen Brief an Ihre Leser heraus zum Thema »einfach leben«. Ist es das, was Sie Ihren Lesern vermitteln wollen?

Das Ziel des Briefes ist, Hilfe für den Alltag zu bieten, eine neue Sichtweise auf das Leben zu vermitteln. Es geht um geistige Anregung, das Leben anders zu sehen und auch anders damit umzugehen.

Warum ist es so schwierig, einfach zu leben?

Das liegt vor allem daran, dass wir maßlose Ansprüche an uns selber haben. Den Anspruch, dass wir immer perfekt, immer gut drauf sein mussen. Oder daran, dass wir maßlose Erwartungen an unser Leben haben, dass es immer glücklich und gut sein muss. Es ist wichtig, sich auszusöhnen mit meiner eigenen Realität. Und mit dem Leben, das immer auch durchschnittlich ist. Wenn ich ständig den zerbrochenen Träumen nachtrauere, dann lebe ich nicht im Augenblick. Ich muss betrauern, Abschied nehmen von der Illusion, denn jeder macht sich Illusionen von seinem Leben. Wenn ich die betrauere, dann kann ich auch »ja« sagen zu meinem Leben, so wie es jetzt ist, und dankbar sein.

Sie schreiben, dass jede Entscheidung, die man im Leben trifft, gleichzeitig einen Verlust – Sie nennen es eine Wunde – mit sich bringt.

Ja, jede Entscheidung für etwas ist auch eine Entscheidung gegen etwas und das, was ich ausschließe aus meinem Leben, das muss ich betrauern. Menschen tun sich oft mit Entscheidungen schwer, weil sie sich von dieser Entscheidung das absolut Richtige erwarten. Es gibt nicht die absolut richtige Entscheidung, jede Entscheidung ist relativ. Wenn ich Kurse halte, dann bilde ich Kleingruppen. Oft gibt es dann Leute, die schauen sich immer um, ob eine andere Gruppe als ihre nicht vielleicht interessanter ist. Wenn ich das tue, dann bin ich nicht ganz da und damit mache ich mir das Leben schwer.

Sie haben Theologie, Philosophie und BWL studiert. Wie lassen sich diese zwei Welten – die sinnsuchende und die gewinnorientierte – miteinander in Einklang bringen?

Natürlich gibt es da eine gewisse Spannung, da haben Sie Recht, aber eine Spannung hält ja auch lebendig. Mich hält sie in so fern lebendig: Reine Theologie kann auch dazu führen, dass man abhebt. Und das Wirtschaftliche zwingt mich immer, sehr konkret zu sein. Keine frommen Worte zu machen, sondern darauf zu achten: Was geht von mir aus im Alltag, im Büro? Geht da Friede aus oder Hektik oder Unzufriedenheit und so weiter. Ich kann groß verkünden, dass man den Nächsten lieben soll, aber das zeigt sich konkret im Umgang.

Sie haben im Kloster eine Führungsposition und ein Buch von Ihnen heißt: »Menschen führen, Leben wecken.« Was macht gute Führung aus?

Gute Führung macht zunächst aus, dass ich eine klare Struktur, also eine gute Organisation der Arbeit, vermittle. Und dass ich die Menschen achte und mich in jeden einzelnen auch hineinspüre: Welche Menschen habe ich und wie kann ich ihnen Mut machen, die Fähigkeiten, die sie haben, auch einzubringen. Ich muss vor allem mit meiner Person führen, wissen, wer ich bin. Ich frage die Leute, die führen, immer, mit welchem Bild sie morgens in die Arbeit gehen. Einer hatte das Bild »Ich muss hier den Karren aus dem Dreck ziehen«. Das ist kein schönes Bild. Erstens ist das anstrengend und zweitens schafft es bei den anderen einen Vorwurf. Er hat dann ein neues Bild von sich entwickelt. In seiner Jugend hat er Segelflugzeuge gebastelt und später eine Flugausbildung gemacht. Sein Lehrer hat ihm damals gesagt: »Du musst gar nicht viel machen, du musst einfach spüren, wie die Strömung geht und innerhalb der Strömung das Steuer ein bisschen in die richtige Richtung drehen.« Er hat mir dann geschrieben, dass ihn das Bild erleichtert und in ihm neue Fähigkeiten geweckt hat. Wir brauchen gute Bilder, mit denen wir führen. Das ist wichtiger als Instrumente. Instrumente, die lernt man und die verlernt man wieder.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie in der Wirtschaft wegen Ihrer Führungsfunktion ernster genommen werden?

Sicher. Wenn ich nur als Theoretiker auftreten würde, der Wirtschaftsethik studiert hat, ohne selbst Erfahrung zu haben, dann würden die Leute sagen: Ja, das klingt schön, aber ist das realistisch?

Gibt es heute ein größeres Bewusstsein für Menschlichkeit in der Wirtschaft?

Es gibt sicher beide Strömungen. Es gibt die rauere Wirtschaft und es gibt auch ganz viele, die aufgewacht sind und spüren: Reine Gewinnmaximierung, das ist nicht das Ziel. Vor 20 Jahren war die Kirche da nicht sehr gefragt in der Wirtschaft. Und heute fragt man doch nach und da bin ich einfach froh. Wichtig ist mir, dass ich nicht moralisiere. Wenn ich über Werte rede, dann möchte ich für Werte werben. Werte machen das Leben wertvoll, machen eine Firma wertvoll. Werteverachtung ist immer Menschenverachtung und Selbstverachtung.

In Firmen, wo das Klima nicht stimmt, kommt es bei Mitarbeitern häufiger zum Burnout oder zu Depressionen...

Das Arbeitsklima spielt dabei sicher eine Rolle. Das hängt ja nicht nur von der Führung ab, sondern auch von einzelnen Mitarbeitern, von der Unfähigkeit mancher, mit anderen Menschen zu kommunizieren. Zum Burnout führt oft gar nicht die Arbeit selber. Ich sage immer: Ich bin erschöpft, wenn ich aus trüben Quellen schöpfe. Und trübe Quellen, das sind Perfektionismus, der Druck, mich beweisen zu müssen, oder irgendwelche unguten Lebensmuster, zum Beispiel das Gefühl, die Erwartungen anderer nicht zu erfüllen. Auch Depressionen sind oft ein Hilfeschrei wegen übertriebener Ansprüche, meistens an uns selber. Und auch ein Hilfeschrei gegen die eigene Wurzellosigkeit. Dagegen, dass wir einfach nur dahinleben.

Und was braucht es, um – wie Sie es sagen – wieder aus einer klaren Quelle schöpfen zu können?

Es braucht das Bewusstmachen der trüben Quellen, um Abstand nehmen zu können. Die klaren Quellen sind ganz verschieden. Für mich als Christ ist es die Quelle des heiligen Geistes, dass etwas Größeres in mir ist, was nicht nur mein Wille ist, auch Intuition kann man es nennen. Und da muss ich mich nicht anstrengen. Ich muss nur meiner Intuition trauen. Das ist wesentlich leichter. Aber das kann ich mich nur trauen, wenn ich das Ego ein Stück zurückdränge. Das Ego ist nicht intuitiv, das will immer kontrollieren, will alles im Griff haben. Intuition ist etwas sanfteres. Intuition bedeutet, einfach auf das zu vertrauen, was aus dem Inneren kommt. Den Leuten, die alles kontrollieren wollen, denen gerät das Leben außer Kontrolle.

Weil es sich nicht kontrollieren lässt?

Ja. Zum Beispiel erzählen mir viele Unternehmer von ihren Einstellungsgesprächen: »Wenn ich rein rational gedacht und alle Kriterien abgecheckt hab, dann hab ich immer verkehrt entschieden. Aber wenn ich auf mein Bauchgefühl höre...«

Und wenn Sie entscheiden, dann entscheiden Sie intuitiv? Im Einstellungsgespräch?

Ja. Natürlich schau’ ich mir die Menschen und die Zeugnisse trotzdem an.

Ihre Bücher werden in 30 Sprachen übersetzt, die Gesamtauflage Ihrer verkauften Bücher liegt bei über 14 Millionen Titeln. Können Sie sich Ihren Erfolg erklären?

Ich bin erst einmal dankbar, dass es so ist. Wenn ich es zu ergründen versuche, dann hat es sicher zwei, drei Gründe. Erst einmal, dass ich eine ganz einfache Sprache spreche, die die Menschen verstehen. Zweitens, dass die Menschen spüren, dass ich nicht bewerte, sondern ihnen gegenüber wohlwollend bin. Und drittens, dass ich keine billigen Ratgeber schreibe, sondern die Realität so beschreibe, wie sie ist und trotzdem die Sehnsucht der Menschen anspreche und die Hoffnung, es lässt sich etwas ändern in meinem Leben und es lohnt sich, daran zu arbeiten.

Mit Ihren Büchern verdienen Sie ja eine ganze Menge Geld. Das Geld können Sie für sich nicht in Anspruch nehmen. Bedauern Sie das manchmal?

Nein. Also, für mich ist Luxus kein Thema. Ich bin zufrieden, ich hab das, was ich brauche. Zu meinem 65. Geburtstag fragen mich meine Geschwister, was sie mir kaufen sollen – ich tue mich da so schwer, ich hab da keine großen Wünsche.

Es gibt gar nichts? Gar nichts, was Ihnen einfallen würde?

Naja, eine neue Hose mal, wenn die alte abgetragen ist. Aber sonst nichts, nein.

Ihre Einnahmen kommen dem Kloster zugute. Wie werden sie investiert?

Wie haben die Schule und Bildungshäuser, unsere Missionsprojekte und soziale Projekte und natürlich die Lebensunterhaltung vom Kloster. Wir müssen uns ja selber tragen.

Meinen Sie, es würde den Menschen leichter fallen, einfach zu leben, wenn unser Wohlstand nicht so groß wäre?

Nicht automatisch, aber natürlich ist der Wohlstand eine Versuchung. Ich will ihn auch nicht verteufeln. Es kommt auf die Haltung an, ob ich frei mit ihm umgehen kann oder ob ich davon bestimmt werde. Es gibt die Versuchung zu meinen, ich lebe erst wirklich, wenn ich den Fernseher habe und das Auto. Ich erlebe, je weniger einer fähig ist zu leben, desto mehr braucht er zum Leben. Und das heißt nicht, dass wir nichts haben sollen. Aber dass wir uns darüber nicht definieren. Die innere Freiheit, genießen zu können, aber es nicht zu brauchen, die gehört zur Einfachheit.

Meinen Sie, ein Unternehmen muss auf bestimmte Weise einfach sein, um Erfolg zu haben?

Ja. Einfachheit heißt ja auch, dass die Menschen verstehen können, worum es geht. Die Banken machen ja auch immer mehr Bankprodukte, Derivate, komplizierte Konstruktionen und so. Wenn die mir das verkaufen wollen, dann sag’ ich immer: Das könnt Ihr behalten. Ich kauf ’ nur das, was ich verstehe.

Sie werden im Januar 65. Das ist eigentlich das klassische Rentenalter. Wie stellen Sie sich die nächsten Jahre vor?

Gut, bei uns gibt’s kein Rentenalter. Aber ich überlege natürlich schon, ich möchte ja nicht ewig Cellerar bleiben. Ich habe dem Abt auch gesagt, ich bin jederzeit bereit zurückzutreten, aber es gibt noch keinen klaren Nachfolger. Arbeitslos werde ich sowieso nicht, ich werde weiterhin schreiben und Vorträge halten und Menschen begleiten. Solange ich die Kraft habe, stimmt das so für mich.

Fällt Ihnen das leicht, Ihr Amt als Cellerar abzugeben?

Ich sage jetzt, dass ich es gern abgebe. Wenn`s dann konkret wird, dann werde ich schon merken, dass das leichter gesagt ist als getan. Das wird auch eine Herausforderung sein.

Eine Entscheidung, die betrauert werden muss?
Ja.

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Stiftungsbericht der Hertie Stiftung

Die Nadel im Heuhaufen.

Manchmal sitzen ganze Familien im Wartezimmer von Dr. med. Rebecca Schüle: Großmutter, Vater und Sohn. Durch die Generationen dieser Familie zieht sich dann ein sehr seltenes Leiden, nämlich ein vererbter Gendefekt, der eine fortschreitende Spastik und Lähmung der Beine verursacht. Neurologen nennen diese Krankheit hereditäre spastische Paraplegie (HSP) oder spastische Spinalparalyse.

Die Erkrankten kommen zur Behandlung nach Tübingen, weil sie hoffen, Antworten zu finden. „Die Betroffenen haben viele Fragen. Sie wollen wissen, wie es weitergeht. Ob sie in zehn Jahren noch laufen können. Welchen Beruf sie erlernen können. Oder ob sie diese Krankheit an ihr Kind weitervererben werden“, erzählt Schüle von den Begegnungen aus ihrem Klinikalltag in der HSP-Spezialambulanz. Doch das ist nur ein Teil ihres Arbeitsalltags.

Mit ihren Fragen sind die Betroffenen bei der engagierten Ärztin und Forscherin an der richtigen Adresse. Seit 2003 arbeitet sie am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) und der Neurologischen Universitätsklinik Tübingen, die gemeinsam das Zentrum für Neurologie bilden. Ihr klinischer und wissenschaftlicher Schwerpunkt sind die hereditären spastischen Paraplegien. Sie berät und behandelt Betroffene und erforscht die genetischen Grundlagen dieser Erkrankung.

Schüle erzählt mit Begeisterung von ihrer Arbeit, ihre Augen strahlen dabei. Schon als Schülerin hat sich die gebürtige Schwäbin entschieden, den Dingen auf den Grund zu gehen, wesentliche Zusammenhänge zu verstehen, kurz: Forscherin zu werden. „Gleichzeitig wollte ich mit Menschen arbeiten. Mein Vater war Leiter eines Behindertenheimes, dort bin ich mit meiner Familie aufgewachsen. Der alltägliche Kontakt mit Menschen, die ein weniger vorteilhaftes Schicksal haben, hat mich sehr geprägt“, erzählt sie. Schüle entschied sich für ein Medizinstudium in Heidelberg, das sie 2003 mit Auszeichnung abschloss. Auf der Suche nach einer interessanten Forschungsstelle bewarb sich die zweifache Mutter dann bei dem damals gerade gegründeten Hertie-­Institut für klinische Hirnforschung, bekam eine Zusage und erhielt von der Hertie-Stiftung ein Stipendium. „Das war eine große Chance für mich. Dieses Stipendium machte es mir möglich, dass ich neben der Klinik auch im Labor arbeiten und meine Forschungskarriere aufbauen konnte. Ich wäre sonst beruflich nicht da, wo ich heute bin. Und ich bin froh, dass ich mit meiner Arbeit auch heute noch beide Einsatzgebiete – Forschung und Klinik – verbinden kann“, so Schüle, die heute Nachwuchsforscherin am Hertie-Institut für Klinische Hirnforschung ist.

Die besonders enge Verknüpfung von Klinik und Grundlagenforschung ist ein fundamentaler Aspekt des HIH-Konzepts und ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber zahlreichen anderen Forschungsinstitutionen der Hirnforschung. Dadurch gelingt es, praktische Krankenversorgung und wissenschaftliches Arbeiten auf höchstem Niveau zusammenzuführen: Die Aufgaben des Zentrums für Neurologie liegen sowohl in der Krankenversorgung durch die Neurologische Klinik als auch in der wissenschaftlichen Arbeit der im HIH zusammengeschlossenen Forscher. „Bei unserer Arbeit sind wir miteinander in engem Austausch. Auch wenn wir uns zum Beispiel unterschiedlichen neurologischen Systemen des Gehirns widmen, sind die Prozesse ähnlich. Wir haben vergleichbare Methoden und Fragenstellungen. Manchmal muss ich nur an der Tür ein Büro weiter klopfen. Wir können viel voneinander lernen.“

Der Austausch unter Kollegen ist Schüle wichtig, denn ihre Arbeit gleicht oftmals der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Wenn sie sich mit einem bisher unbekannten HSP-Fall aus ihrem Behandlungszimmer auf den Weg ins Forschungslabor macht, benötigt sie neben ihrem umfassenden Fach- und Spezialwissen eine große Portion Sorgfalt und jede Menge Geduld. Denn unter rund 25.000 Genen gilt es nun, das veränderte Gen zu finden, das verantwortlich ist für die Erkrankung ihres Patienten. Über 50 unterschiedliche HSP-Typen hat die Forschung bereits identifiziert. Sie werden mit „SPG“, das für „Spastic Paraplegia Gene“ steht, bezeichnet und durchnummeriert.

Mit jedem Fall jedoch, bei dem diese bekannten Gene keine Veränderung aufweisen, beginnt die Suche nach dem einen entscheidenden Gen neu. „Das Problem ist aber, dass wir alle von Natur aus unterschiedliche Gene haben. Eine Abweichung im genetischen Bauplan ist an etwa ein bis zwei Millionen Stellen vollkommen normal – für mich geht es darum, die entscheidende Abweichung zu finden, die die Krankheit verursacht“, erklärt die Wissenschaftlerin. Umso erfreulicher ist es, dass es Schüle gelungen ist, weitere HSP-Gene zu entdecken: Sie wird die Liste um drei „neue“ Gene ergänzen.

Es scheinen gerade diese Herausforderungen zu sein, die Schüle an ihrer Arbeit begeistern. Sie begegnet ihnen mit großer Aufmerksamkeit und einem klaren Blick für das Wesentliche. Auf dem Weg zum Erkenntnisgewinn hilft es ihr, wenn betroffene Familien in die HSP-Spezialambulanz kommen. „Dann kann ich vergleichen, welche von den vielen Abweichungen bei den betroffenen Familienmitgliedern identisch sind, bei den gesunden aber nicht. Um neue Ergebnisse zu bekommen, müssen wir versuchen, in der riesigen Datenmenge Muster zu erkennen.“

Dazu müssen die Forscher jedoch auf einen großen Datenstamm zugreifen können – kein Leichtes bei einer seltenen Erkrankung wie HSP. Auf der ganzen Welt stehen deshalb Wissenschaftler in intensivem Kontakt, treffen sich regelmäßig und tauschen ihre Ergebnisse aus. „Das ist das Schöne an der Erforschung einer seltenen Krankheit. Ich werde vielleicht keine Plenarsäle bei einem Vortrag über HSP füllen. Aber dafür kenne ich die meisten Forscher weltweit persönlich, die sich ernsthaft mit dieser Krankheit befassen. Diese Begegnungen sind sehr bereichernd“, freut sich Schüle. Insbesondere in Europa und den USA arbeiten die Wissenschaftler eng miteinander zusammen.

Im Rahmen eines Stipendiums der Europäischen Union, der Marie-Curie Actions, wechselt Schüle nun auch für zwei Jahre mit einem Teil ihres Forschungsteams an das Hussman Institute for Human Genomics an der University of Miami, um dort ihre Studien in Zusammenarbeit mit amerikanischen Kollegen fortzusetzen. Die Frage nach einem Blick in die berufliche Zukunft beantwortet die Forscherin mit einem Lächeln. „Wenn ich Glück habe, darf ich mich noch lange mit der Erforschung von HSP beschäftigen“, sagt sie. Und sieht dabei sehr zufrieden aus.

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Broschüre zum start-up Club des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels

Wenn zwei sich finden

Ein Business Angel begleitet Start-ups durch die Höhen und Tiefen einer Unternehmensgründung. Dabei geht es um mehr als um finanzielle Unterstützung.

Worauf kommt es an bei der Unternehmensgründung? Dr. Carsten Linz spricht über Branchentrends, Durchbruchsinnovation durch Digitalisierung und Erfolgsfaktoren bei der Gründung.

Wie innovativ ist die Medien- und Buchbranche?

Die Erfahrung zeigt, wo es größere Diskontinuitäten, also Veränderungen in der Struktur einer Branche gibt, da bieten sich Chancen für Unternehmer, die die Regeln im Markt neu definieren. In der Medienbranche ist das der radikale Umbruch durch die Digitalisierung. Was das Wagniskapital angeht, gibt es eine starke Wachstumstendenz; Knappheit herrscht in den Frühphasen der Unternehmensentwicklung. Hier kommen Privatpersonen als Business Angels oder Crowdfunding ins Spiel. Ich lese pro Jahr 150 Business-Pläne, da nimmt die Anzahl guter Vorschläge aus dem Medienbereich stark zu. Auch ein Blick auf Crowdfunding-Plattformen zeigt diese Innovationsdynamik.

Worauf achten Investoren, die sich an einem Start-up beteiligen möchten?

Der größte Faktor zum Erfolg ist nicht die Idee, sondern das Gründerteam. Auf der Welt gibt es keinen Mangel an guten Ideen, es gibt einen Mangel an unternehmerischer Kapazität, gute Ideen in erfolgreiche Geschäfte zu konvertieren. Erfolgreiche Unternehmer können erklären: Wie verändern wir die Welt positiv? Was ist unser Geschäftsmodell? Es ist wichtig, auf diese Fragen eine Antwort zu haben.

Was raten Sie jungen Unternehmensgründern in der Medienbranche?

Grundsätzlich sollte man das kleine Einmaleins des Unternehmertums beherrschen. Und es gibt drei Erfolgsmuster, die man derzeit nutzen kann. Erstens: Man verkauft Struktur, setzt Inhalte in einen intelligenten Kontext. Zweitens: Man verkauft Geschichten. Die Kernkompetenz der Buchbranche sind Geschichten – und die haben einen Wert. So erzielen Produkte, die in den Kontext einer Geschichte eingebettet sind, nachweislich höhere Preise. Drittens: Man verkauft Orchestrierung, führt also Inhalte aus verschiedenen Quellen zusammen. Bei einer Gründung würde ich mein Geschäftskonzept bei diesen drei Ansätzen starten.

Welche Vorteile bieten Business Angels einem Start-up?

Ein Business Angel zeigt Abkürzungen zum Erfolg auf, das ist wichtiger als das Geld, das er investiert. Scheitern ist als schnelle Lernerfahrung unbedingt erlaubt. Aber ein paar Erfahrungen braucht man nicht zu machen. Darüber hinaus bietet ein Business Angel Kontakte und setzt seine Reputation ein. Das Wichtigste ist: Es muss passen, zwischen Business Angel und Start-up. Man muss sich schon etwas ineinander verlieben, an einen gegenseitigen substanziellen Beitrag glauben. Als Start-up wäre ich deshalb wählerisch und würde mich fragen: Stimmt hier die Chemie?

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